Zwischen Loyalität und Distanz: Die Reichsballeien des Deutschen Ordens und ihr Verhältnis zum Ordensstaat (1425–1525)


Die Haltung der Reichsballeien des Deutschen Ordens gegenüber dem Ordensstaat in Preußen war im gesamten 15. und frühen 16. Jahrhundert von Spannungen geprägt. Einerseits bestand eine fortdauernde ideelle und institutionelle Bindung an die Hochmeisterzentrale in Marienburg und später in Königsberg. Andererseits machten die Brüder im Reich immer wieder deutlich, dass sie die finanziellen und personellen Lasten des preußischen Kriegsgeschehens nicht unbegrenzt mittragen konnten. Zwischen 1425, rund hundert Jahre vor der Säkularisation, und 1525, als Hochmeister Albrecht von Brandenburg-Ansbach das Herzogtum Preußen begründete, lässt sich eine Entwicklung von loyaler Solidarität über distanzierte Gleichgültigkeit bis hin zur offenen Ablehnung verfolgen.

Schon kurz nach der Niederlage von Tannenberg 1410 und dem Ersten Thorner Frieden 1411 kam es im Reich zu Konflikten über die Belastungen. Ein deutsches Kapitel, das im November 1411 in Frankfurt am Main tagte, wies die Forderungen des Hochmeisters zurück. In den Protokollen heißt es, man sei „dermaßen beschwert, daß man unmöglich mehr tragen möge“ (Frankfurter Kapitelprotokoll 1411, zit. bei Sarnowsky, Der Deutsche Orden, München 2007, S. 123). Deutlicher konnte die Kritik an der Finanzpolitik kaum formuliert werden. Dennoch blieben die personellen Bande eng. Aus Franken, Schwaben und dem Rheinland wurden weiterhin junge Adelige nach Preußen geschickt. Das Preußische Urkundenbuch verzeichnet 1412 die Ankunft des fränkischen Ritters Heinrich von Plauen d. J. in Marienburg (PUB, Bd. 6, Nr. 4125). Sein Onkel, Heinrich von Plauen d. Ä., selbst aus dem Vogtland stammend, hatte nach 1410 sogar das Amt des Hochmeisters errungen (Strehlke, Acta Ordinis Theutonici, Nr. 178). Für Brüder aus dem Reich war das Ordensland damit trotz aller Kritik weiterhin ein Ort bedeutender Karrierechancen.

Die Belastungen des Dreizehnjährigen Krieges (1454–1466) verschärften das Missverhältnis. In mehreren Reichsballeien kam es zu Güterverkäufen, so 1437 in Schweinfurt und 1460 in Archshofen. In den Urkunden heißt es ausdrücklich, dies sei „umb der schweren Lasten willen, so uns aus Preußen zugetragen werden“ geschehen (QS Bd. 44, Nr. 213; zit. bei Sarnowsky 2007, S. 127). Zugleich gelangten Reichsbrüder weiterhin in höchste Ämter: Ludwig von Erlichshausen aus der fränkischen Ballei wurde 1450 Hochmeister (Acta Ordinis, Nr. 189). Diese Karriere zeigt, dass Preußen als Aufstiegsort für Reichsritter keineswegs an Bedeutung verloren hatte. Dennoch mehrten sich kritische Stimmen. Der ostpreußische Chronist Simon Grunau schrieb später über die Führung der Hochmeister, sie hätten „mehr Krieg geliebt als des Ordens Nutz“ (Preußische Chronik, hrsg. Perlbach, Leipzig 1876, S. 215). Diese Einschätzung spiegelt den wachsenden Unmut über eine Politik wider, die den Orden finanziell und politisch erschöpfte.

Nach dem Zweiten Frieden von Thorn 1466, der den Hochmeister zum polnischen Lehnsmann machte, rückte die Reichsorganisation noch stärker in den Vordergrund. Die Reichsballeien suchten institutionelle Sicherungen gegen weitere Überforderungen. 1494 beschlossen sie in Mergentheim, dass „künfftighin kein Beitrag noch Steuer auf uns gelegt werde, es sei denn mit Bewilligung des Deutschmeisters“ (Mergentheimer Vertrag 1494, zit. bei Tenhaaf, Der Deutsche Orden im Reich, Marburg 1978, S. 201). Diese Regelung bedeutete faktisch eine Abgrenzung von der preußischen Zentrale. Gleichwohl wurden Brüder aus dem Reich weiter nach Preußen entsandt. Die Acta capitulorum generalium verzeichnen 1474 die Aussendung mehrerer fränkischer Brüder „ad servitium in Prussia“ (Bd. 2, Nr. 421). Heinrich Reuß von Plauen, ein Schwabe, wurde 1479 Komtur von Elbing (PUB, Bd. 9, Nr. 5872). Die Verflechtungen blieben also lebendig, auch wenn das Vertrauen in die Führung nachließ.

Mit dem Hochmeister Albrecht von Brandenburg-Ansbach erreichte die Krise eine neue Stufe. Albrecht stammte selbst aus einer fränkischen Fürstenfamilie, was seine Nähe zu den Reichsballeien zunächst verstärkte. Doch schon bald regte sich Widerstand gegen seine Forderungen. Im Reichskapitel von Mergentheim 1523 heißt es: „Der Hochmeister verlangt unmäßig von uns, doch wir können nit mehr geben, ohne unser Haus zu schädigen“ (QS Bd. 61, Nr. 44; zit. bei Sarnowsky 2007, S. 215). Zugleich wurde Albrecht persönlich kritisiert. In fränkischen Protokollen von 1524 wurde ihm vorgeworfen, er denke „mehr an sein fürstlich Geschlecht denn an des Ordens Regel“ (zit. bei Tenhaaf 1978, S. 227). Mit seiner Hinwendung zur Reformation verschärfte sich der Gegensatz weiter. Das Kapitel von Ulm 1524 notierte, „der Hochmeister sei von der rechten Lehr abgewichen“ (QS Bd. 63, Nr. 12).

Auch in dieser späten Phase gingen Brüder aus dem Reich nach Preußen. So trat 1512 der fränkische Adlige Dietrich von Schönberg in den Orden ein und wurde bald Hauskomtur in Königsberg (Strehlke, Acta Ordinis, Nr. 498). Doch solche Karrieren standen im Schatten der politischen und religiösen Polarisierung. Als Albrecht 1525 den Ordensstaat säkularisierte und als Herzog von Preußen dem polnischen König huldigte, hielt das Reichskapitel in Mergentheim nüchtern fest: „Das Ordenshaus zu Preußen ist abgangen und weltlich worden, das ist ein großer Abfall“ (zit. bei Sarnowsky 2007, S. 221).


Fazit

Zwischen 1425 und 1525 wandelte sich das Verhältnis der Reichsballeien zum Ordensstaat grundlegend. Am Anfang stand eine von Loyalität getragene, aber kritisch-distanzierte Haltung, wie sie das Frankfurter Kapitel 1411 mit seinem Protest gegen untragbare Belastungen zum Ausdruck brachte. In den Jahrzehnten des Dreizehnjährigen Krieges nahm die Distanz weiter zu, auch wenn Reichsbrüder noch höchste Ämter wie das Hochmeisteramt erlangten. Nach 1466 verselbständigten sich die Reichsballeien institutionell und verteidigten ihre Finanzen gegenüber Preußen. Die Reformationszeit brachte schließlich den offenen Bruch: Albrechts Politik wurde als übergriffig, weltlich und häretisch empfunden. Zwar blieben personelle Verbindungen bis zuletzt bestehen, doch wurden sie von wachsender Skepsis begleitet. Der Säkularisation von 1525 begegneten die Reichsballeien mit Ablehnung und bezeichneten sie als „großen Abfall“.

So lässt sich das Empfinden der Reichsbrüder zusammenfassen: Sie bejahten die Ordensidee, nutzten Preußen als Karriereort, lehnten aber die Überforderung, die kriegslastige Politik und die religiöse Abkehr der Hochmeister zunehmend ab. Ihr Verhältnis zum Ordensstaat verlief in einer Linie von loyaler Solidarität über pragmatische Gleichgültigkeit bis hin zu offener Ablehnung.

(QS = Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens)

Kommentare

Beliebte Posts