Union von Viterbo (1237)
Die Inkorporation des Schwertbrüderordens in den Deutschen Orden (Union von Viterbo) war keineswegs ein plötzliches Ereignis, sondern das Ergebnis eines längeren, vielschichtigen Verhandlungsprozesses. Schon einige Jahre vor der entscheidenden Schlacht bei Schaulen 1236 hatte es erste Kontakte zwischen den beiden Ritterorden gegeben. Bereits um 1230/31 war der Schwertbrüderorden offenbar daran interessiert, sich dem mächtigeren Deutschen Orden anzunähern. Die Beweggründe dieser frühen Gespräche lassen sich jedoch nur schwer rekonstruieren, da die Quellen stark durch die spätere Deutschordenshistoriografie geprägt sind. Wahrscheinlich verfolgten die Schwertbrüder zunächst keine Inkorporation, sondern eine Art Zusammenarbeit auf Augenhöhe.
Ein konkreter Schritt erfolgte im Jahr 1234, als zwei Komture des Deutschen Ordens – aus Altenburg und Nägelstedt – nach Livland reisten, um vor Ort die Lebensweise und Struktur des Schwertbrüderordens zu prüfen. Dabei traten bereits deutliche Unterschiede zutage: Die Schwertbrüder bestanden auf ein hohes Maß an Autonomie, insbesondere auf das Recht, nicht gegen ihren Willen aus Livland versetzt zu werden. Diese Forderungen stießen auf Skepsis bei den Visitatoren. Auch die soziale Zusammensetzung und regionale Herkunft der beiden Orden unterschieden sich spürbar – während der Deutsche Orden stärker süd- und mitteldeutsch geprägt war, rekrutierten sich die Schwertbrüder vor allem aus nordwestdeutschen und dänischen Adelskreisen. Beide Gruppen hatten einen ausgeprägten Korpsgeist entwickelt, der ein Zusammenwachsen zusätzlich erschwerte.
Im Frühjahr 1236 wurden die Gespräche in Marburg fortgesetzt. Drei Schwertbrüder, darunter Johann von Magdeburg, trafen dort auf Ludwig von Öttingen, der als Stellvertreter des Hochmeisters Hermann von Salza fungierte. Die Verhandlungen blieben allerdings ergebnislos. Die Deutschordensleitung nahm Anstoß am selbstbewussten Auftreten der Delegation, das im Bericht des späteren Hochmeisters Hartmann von Heldrungen als „muthwille“ bezeichnet wurde. Die Schwertbrüder wollten keine vollständige Unterordnung, sondern ein eigenständiges Fortbestehen unter dem Schutz des Deutschen Ordens. Da keine Einigung erzielt wurde, übergab man die Entscheidung an Hochmeister Hermann von Salza.
Zu diesem Zeitpunkt ahnte noch niemand, dass wenige Monate später die militärische Lage alles verändern würde. Am 22. September 1236 erlitt der Schwertbrüderorden bei Schaulen eine vernichtende Niederlage gegen die Litauer. Der Herrenmeister Volkwin fiel mit rund 50 weiteren Ritterbrüdern, die Ordensführung war zerschlagen, und die gesamte Existenz des Ordens in Livland stand auf dem Spiel. Erst im Frühjahr 1237 konnte ein Bote – Ritter Gerlach der Rote – in den Süden reisen, um dem Papst und dem Deutschen Orden von der Katastrophe zu berichten.
Diese Nachricht veränderte alles. Die bis dahin noch relativ selbstbewusste Verhandlungsposition der Schwertbrüder brach zusammen. Die verbliebenen Brüder waren auf militärische Hilfe, organisatorische Führung und politischen Rückhalt angewiesen – all das konnte nur der Deutsche Orden bieten. In Viterbo, dem damaligen Aufenthaltsort von Papst Gregor IX., fanden nun unter großem Zeitdruck die entscheidenden Gespräche statt. Hermann von Salza, der zuvor noch gezögert hatte, zeigte sich nun bereit zur Eingliederung, bestand aber auf päpstlicher Zustimmung.
Doch der Papst stellte seinerseits Bedingungen: Insbesondere forderte er, dass die nordestnischen Besitzungen des Ordens an die dänische Krone abgetreten werden sollten – ein Punkt, den die Schwertbrüder kategorisch ablehnten. Letztlich soll Hermann von Salza dem Papst stillschweigend zugesichert haben, Nordestland in dänische Hand zu geben – möglicherweise eine diplomatische Finte, um die Zustimmung zu erhalten.
Die Verhandlungen endeten schließlich mit einer völligen Kapitulation der Schwertbrüder. Die päpstliche Kanzlei stellte den Vorgang in den späteren Urkunden jedoch als Bitte der Schwertbrüder um Aufnahme in den Deutschen Orden dar – ein bewusst konstruiertes Narrativ, das den Charakter einer freiwilligen Inkorporation suggerierte. Noch in Viterbo wurden zwei Schwertbrüder symbolisch mit dem weißen Mantel des Deutschen Ordens eingekleidet – ein deutliches Zeichen für den vollzogenen Wechsel. Kurz darauf kehrten sie mit Hartmann von Heldrungen nach Deutschland zurück. In Marburg wurde die Vereinigung im Juni 1237 auf einem Generalkapitel offiziell verkündet, begleitet von der Entsendung eines ersten Verstärkungskontingents aus 60 Deutschordensrittern nach Livland.
So endete ein zähes Ringen um Unabhängigkeit mit einem vollständigen Machtverlust der Schwertbrüder – formal eingefasst in eine diplomatische Formel, faktisch aber das Ergebnis einer militärischen Katastrophe und eines geschickten Spiels kurialer Machtpolitik.
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